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Istanbul - Beijing 2004
Juli 24, 2004
 
Ferien von den Ferien

Nach drei Monaten Besichtigungen sind Neugier und Aufnahmefaehigkeit eingeschraenkt, die Hitze macht uns schlapp. Also auf in die kirgisischen Berge, wandern, baden und faulenzen. Wir wandern im Nationalpark Ala Archa ausserhalb Bishkeks und machen Strandferien am See Issyk Kul, alles in bester Gesellschaft von Gesa und Christoph aus Hamburg. Doch mit ihnen verlaesst uns das gute Wetter, von nun an sind Geduld und Flexibilitaet angesagt. Zuerst gehen wir kuren, dann warten wir in Karakol am Fuss der Berge vier Tage darauf, dass der Regen nachlaesst. Mit uns warten alle anderen Reisenden, von denen manche viel laengere und verruecktere Touren unternehmen als wir: Karin und Sven, die zu Fuss und Pferd und orientierungslaufend Asien bereisen; Sarah und Markus, die eine aehnliche Route wie wir mit dem Fahrrad zurueckgelegt haben; einen Japaner, der franzoesisch spricht und einen Mexikaner, der russisch kann. Man trifft sich dauernd, im Guesthouse, auf dem Markt, beim Coiffeur. Dass wir unsere Leseferien im warmen Bett verbringen wuerden, hatten wir uns so nicht vorgestellt. Schliesslich hoert der Regen so lange auf, dass wir die dreitaegige Wanderung zum Bergsee Ala Koel wagen. Fuer den Trek ueber satte Blumenwiesen, zum tuerkisen See mit dem Gletscher im Hintergrund, ueber den schneebedeckten Pass auf 3860m und hinab durch juraaehnliche Hochweiden haben wir strahlenden Sonnenschein. Die Nacht im Zelt auf 3000m unter sternenklarem Himmel ist jedoch im wahrsten Sinn des Worts eiskalt, und die gemieteten Schlafsaecke haben schon einige Daunenfedern zuviel verloren. Am letzten Tag wandern wir mal wieder im stroemenden Regen zu Tal. Als auf dem Weg zum geplanten Jurtenbesuch schon wieder Gewitterwolken aufziehen, aendern wir unsere Plaene und verbringen nochmals einen herrlichen Strandtag am Issyk Kul. Auf einen feucht-kalten Jurtenbesuch im Hochland haben wir nun wirklich keine Lust mehr.

Im Sanatorium

Ein Amerikaner in Tashkent hatte uns nach der Bedeutung des Worts Sanatorium auf deutsch gefragt, denn der Ausdruck wird auch auf russisch verwendet. Auf englisch wird darunter ein Irrenhaus verstanden, und als wir unter der weissgekachelten, angerosteten Dusche des ehemaligen Parteibonzen-Sanatoriums stehen, kommt trotz den freundlichen russischen Matronen ein mulmiges Gefuehl auf: Kommen wir hier wieder heil heraus? Das Wellnessprogramm wird uns von der einzigen Angestellten verschrieben, die englisch spricht - in einem mit 'Psychotherapie' angeschriebenen Buero, in dem ein Geraet steht, das wie ein Luegendetektor aussieht. Selbst aerztliche Leistungen sind im (stolzen) Dollarpreis inbegriffen. Man kann inhalieren oder sich den Darm entleeren lassen ('purgation' erinnert uns irgendwie ans Fegefeuer); eine Abtreibung wird gemaess Preisliste hingegen separat verrechnet... Wir kommen schliesslich doch gesund und ganz heraus - in Mineralien gebadet, von einem Feuerwehrschlauch massiert und vollgestopft mit russischer Vollpension. Letztere bestellt man sich von einem gedruckten Menuzettel, von dem es fuer jeden Wochentag einen gibt. Viel einfacher geht es schliesslich in den heissen Quellen zu und her, die wir zur Unterbrechung einer unserer Regenwanderungen besuchen. Die Russen kuehlen sich zwischendurch im gletscherkalten Fluss ab; uns reicht es, unsere schmerzenden Glieder im heissen, leicht schwefligen Wasser zu waermen.

In der Jurte

Als sich das Wetter wieder etwas stabilisiert hat, fahren wir doch noch auf einen Jailoo, zu deutsch eine Alp. Kaum haben wir Platz genommen in der Gaeste-Jurte, wird er auch schon hereingetragen: der Kumis, gegorene Stutenmilch - gleich ein ganzer Kuebel davon. Tapfer schluerfen wir unsere Tassen genau bis zu dem Zeitpunkt leer, da der Tee fertig ist. Auch das spaetere Abendessen, kraeftig gesalzene Schafsinnereien mit Buchweizen, rutscht nicht ohne Widerstand die Kehle hinunter. Zum Dessert gibt's Kumis. Waehrend wir noch am Ueberlegen sind, wie die ganze Grossfamilie wohl in der anderen Jurte Platz findet, schlafen wir unter mehreren Lagen dicker Decken wohlig ein. Nur unsere Maegen arbeiten weiter... Aber gesund muss das Zeug ja sein, Oma und Opa scheinen jedenfalls top in Form zu sein. Oma schmeisst den Haushalt, Opa huetet den ganzen Tag die Schafe. Ein kirgisischer Hirte verrichtet seine Arbeit vom Pferd aus. Deshalb laesst man uns die Huegel, die das sanfte Tal umgeben, gar nicht erst zu Fuss besteigen. Wir werden zum Reiten genoetigt, was uns schliesslich sogar Spass macht. Am letzten Tag wird jedoch nichts aus der Reiterei. Die ganze Familie ist damit beschaeftigt, eine Kuh, welche in der Nacht gestorben ist, auseinander zu nehmen und auf den Markt im Tal zu befoerdern. Als das Auto, das uns abholen sollte, nach drei Stunden noch immer nicht da ist, befuerchten wir schon, zur abendlichen Schlachtplatte eingeladen zu werden. Von der ganzen Kuh stehen nur noch die Innereien neben dem Kochherd. Noch nervoeser macht uns jedoch, dass am naechsten Morgen frueh unser Transport nach China geht und es zu Fuss vier Stunden ins naechste Dorf sind, wo vielleicht ein Taxi zu finden ist. Bevor wir ganz verzweifeln, holt uns schliesslich der Koordinator der Jurtenbesuche persoenlich doch noch ab.

P.S.

Mittlerweile sind wir in China und haben Probleme mit dem Bloggern. Der Rueckstand unserer Berichte wird dadurch wohl noch etwas laenger. Immerhin ist es nicht die Great Chinese Fire Wall, die uns am Schreiben hindert.





Juli 19, 2004
 
KIRGISTAN
 
Bevölkerung: 4,5 Mio.
Flaeche: 0.199 Mio Quadratkilometer (5mal die Schweiz). 
Hoechster Gipfel: Pik Pobedy, 7439m
Hauptgebirgszug ist der Tien-Shan (chinesisch fuer Himmelsgebirge), 80% des Lands liegen ueber 1500m. Kirgistan wird auch die Schweiz Zentralasiens genannt. Wir wissen nun auch weshalb: Es regnet hier genauso viel wie bei Euch zuhause.
Die Bevoelkerung lebt primaer von der Viehwirtschaft. Nur knapp die Haelfte sind Kirgisen (53%), dazu sind erstaunlich viele Russen geblieben (21%) und dank der willkuerlichen Grenzziehung durch Stalin gibt's auch viele Usbeken (13%) im kirgisischen Teil des Ferganatals. Kurz vor der Unabhaengigkeit kam es im kirgisisch-usbekischen Grenzgebiet zu Pogromen gegen ethnische Minderheiten mit Hunderten von Toten.
Waehrung: Som, 100 Som entsprechen etwa Fr. 3.-
Zeitverschiebung: +4 Std. gegenüber MEZ.
 
Juengste Geschichte: 1991 Unabhaengigkeit und Mitgliedschaft in der GUS. Kirgistan trieb die politischen und wirtschaftlichen Reformen am weitesten Richtung Demokratie und Marktwirtschaft voran.  Die ploetzliche Abnabelung von den Subventionen und dem garantierten Absatzmarkt der ehemaligen Sowjetunion haben das Land aber hart getroffen. Arbeitslosigkeit und Alkoholismus sind weit verbreitet, es ist deutlich das aermste Land, welches wir bisher bereisten. Es ist ein Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungshilfe.

Ueber Land

Osh im Ferganatal hat ausser einem bunten Markt und einem Bad im eiskalten Fluss nicht viel zu bieten. Uns zieht es deshalb rasch weiter, sprich auf die 12-stuendige Autofahrt nach Bishkek.  Wir haben Glueck, unser Sammeltaxi ist ein moderner Mercedes und die zwei Mitfahrerinnen, die mit Andrea den Ruecksitz teilen, sind schlanke Teenager. Der kuerzeste Weg nach Bishkek wuerde diagonal ueber usbekisches Gebiet fuehren. Die neuen Staaten pflegen untereinander aber nicht die freundschaftlichsten Beziehungen, Streit gibt es etwa wegen dem so wichtigen Wasser. So muessen wir einen weiten Bogen entlang der Grenze fahren, die Strasse ist allerdings noch im Bau... Nach drei Stunden Off-Road endlich eine vernuenftige Strasse. Gerade rechtzeitig, bevor unser Fahrer endgueltig einschlaeft, setzt Regen ein, die Abkuehlung tut ihm gut. Wir erreichen die Karakoel-Hochebene, auf der satten Weide grasen stattliche Pferde, ueberall im Tal hat es kleine Jurtensiedlungen, an den Flanken erheben sich Schneeberge. Kirgistan wie aus dem Ferienprospekt. Man kann sich gut vorstellen, wie Dschingis Kahn hier seine Truppen Kraefte sammeln liess, bevor er hinab in die trockenen Ebenen brauste. Der zweite Pass windet sich dann in steilen Serpetinen auf stattliche 3500m hoch, die Sicht allerdings ist durch die tiefhaengenden Wolken begrenzt. Puenktlich erreichen wir am Abend unser Ziel. Bishkek, die Hauptstadt unter Bauemen, hat jedoch ausser internationaler Kueche und einem Museum, das ein ganzes Stockwerk der Oktoberrevolution widmet, auch nicht viel mehr zu bieten als Osh.





 
Zeitreise (3): Mitten in der Voelkerwanderung
 
Westturkestan (die heutigen Turkmenistan, Tadjikistan, Usbekistan, Kirgistan und Teile Kasachstans - Ostturkestan ist die chinesische Provinz Xinjiang, doch darueber mehr im August) wird im Sueden durch den Kunlun und den Pamir, im Westen durch das Kaspische Meer begrenzt. Dadurch waren die Voelker aus den Weiten Russlands, Sibiriens und der Mongolei praktisch gezwungen, auf ihrem Weg Richtung Sueden resp. Westen (und umgekehrt) hier durchzuziehen. Die Geschichte war entsprechend wechselvoll und viele Herrschaften konnten sich nur kurze Zeit oder auf begrenztem Gebiet halten. Trotzdem hier der Versuch eines Abrisses der wichtigsten Stationen.
 
Bereits Herodot berichtete ueber das Land, welches damals noch fruchtbarer war als heute. Die einheimischen Sodgen und Skythen leisteten sowohl den Persern wie auch Alexander auf deren Eroberungszuegen erbitterten Widerstand. Im 2. Jahrhundert vor Christi Geburt erschienen die von den Chinesen so gefuerchteten Yuetsin, wegen deren staendigen Ueberfaellen die erste chinesische Mauer gebaut wurde.  Die Yuetsin ihrerseits befanden sich auf der Flucht vor den Hunnen. Sie errichteten ein Reich zwischen dem Aralsee und dem Indus, das 500 Jahre andauerte und  in dem sich der indische Buddismus verbreitete.  In diese Zeit faellt auch die Entstehung der beruehmten Seidenstrasse, auf welcher der kostbare Stoff von China bis nach Rom exportiert wurde, im Austausch gegen Gold, farbiges Glas und andere rare Gueter. Nebenrouten fuehrten nach Indien und Persien, weshalb auch Gewuerze und Edelsteine wichtige Handelsgueter waren. Buchara und Samarkand lagen in der Mitte der Route und boten neben den Transportmitteln (Pferde und Kamele) Marktplaetze und Banken an.
 
Weil das Klima immer trockener wurde, verliessen die Turkvoelker in Ostasien ihre Heimat und griffen ueber einen Zeitraum von Tausend Jahren immer wieder die reiche sesshafte Bevoelkerung entlang der Seidenstrasse an. Zwischendurch brachten die Araber auf ihren relegioesen Eroberungszuegen von Westen her den Islam. 751 versuchten die Chinesen erstmals nach Westen vorzustossen, wurden aber vom arabischen Heer vernichtend geschlagen. Da es lange Zeit bei diesem misslungenen Eroberungszug blieb, ist das gesamte Gebiet inklusive das chinesische Ostturkestan bis heute islamisch geblieben. Auch lernten die Araber von ihren Kriegsgefangenen die Geheimnisse der Herstellung von Papier und Seide. Waehrend die Seidenstrasse dadurch an wirtschaftlicher Bedeutung verlor, bluehten die Oasen Zentralasiens kulturell auf, und im 12. Jahrhundert etablierte sich im Gebiet zwischen dem Aralsee und dem Indus erneut ein starkes Reich, Khoresm genannt.
 
Der Koenig dieses Reichs beging jedoch zwei entscheidene Fehler. Er liess eine reiche Handelskaravane im Besitze Dschingis Khans niedermetzeln, worauf dieser seinen Chinafeldzug abbrach und sich 1220 mit 200'000 Mann Richtung Westen aufmachte. Statt sich mit seinem ebenbuertigen Heer den Mongolen in einer Entscheidungsschlacht zu stellen, machte der Koenig von Khoresm seinen zweiten, strategischen Fehler: Er verzettelte seine Armee zur Verteidigung der einzelnen Staedte. Die Mongolen, ausgeruestet mit moderner chinesischer Belagerungstechnik, hatten keine Muehe, die einzelnen Staedte zu erobern. Der Rachefeldzug forderte allein in Zentralasien die ungeheure Zahl von 6 Millionen Toten und soll den Ausschlag dafuer gegeben haben, dass Dschingis Khan in der Folge das Schwert und nicht den Handel als Mittel fuer seine Machtausdehnung einsetzte. Die Turko-Mongolen setzten nun ihren Vernichtungszug bis nach Delhi und Leningrad fort. Erst der Tod Dschingis Khans stoppte die bereits in Ungarn angekommenen Horden. Seine Nachfolger konzentrierten sich wieder auf die Eroberung Chinas. Dank der Pax mongolica erlebte die Seidenstrasse nochmals einen Hoehepunkt, auch im kulturellen Austausch mit Europa. Nachdem China das Joch der Mongolen abwerfen konnte, verschloss es seine Grenze jedoch weitgehend gegenueber fremdlaendischen Einfluessen. Damit ging auch der Handel auf der Seidenstrasse stark zurueck.  
 
Etwa zur gleichen Zeit, rund 150 Jahre nach Dschingis Khan, loeste Timur von Samarkand aus den 2. Mongolensturm ueber den Vorderen Orient und Russland aus. Die Voelker, die heute das Gebiet bewohnen, begannen hingegen erst im 16. Jahrhundert einzuwandern und vertrieben den letzten Timuriden nach Indien. Die heutige Verklaerung Timurs als 'Vater der Usbeken' ist daher nicht nur wegen dessen Grausamkeit bedenklich, sondern schlichtweg eine falsche Darstellung der Tatsachen. Nach dem Ende von Timurs Reich entstanden in der Region verschiedene Stadtstaaten, sogenannte Khanate, welche unterschiedliche Entwicklungen durchmachten. Die sunnitische Bevoelkerung geriet wegen der wachsenden Bedeutung des schiitischen Persiens in eine religioese Isolation. Die Entdeckung neuer Seewege liess die Seidenstrasse auf nur noch regionale Bedeutung absinken.
 
Erst Mitte des 19. Jhs. geriet Zentralasien aufgrund seiner geografischen Lage zwischen dem britischen Empire in Indien und dem machthungrigen russischen Reich im Norden wieder in den Mittelpunkt weltpolitischer Interessen. Ab 1860 wurden die Khanate von russischen Truppen erobert. Waehrend des ersten Weltkriegs wurden die Herden und Ernten in Zentralasien vom russischen Zar konfisziert und Maenner fuer den Kriegsdienst mobilisiert, was zur offenen Revolte fuehrte. Diese wurde blutig niedergeschlagen. Nach dem Krieg entstanden in der ganzen Region autonome Staaten von unterschiedlicher Dauer. Gegen die zunehmende Integration in die Sowjetunion gab es nationalistisch-religioes gepraegten Widerstand von Basmatchi genannten Guerillakaempfern. Die Nomaden wehrten sich zudem heftig gegen die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, sie schlachteten ihre Herden, statt sie dem Staat zu ueberlassen. Alle Widerstandsbewegungen gegen die Sowjetunion wurden jedoch niedergeschlagen, die Republiken in die UdSSR integriert, und Stalin liess die gesamte kirgisische Regierung 1937 toeten.
 
Die UdSSR brachte der Region eine recht gut ausgebaute Infrastruktur und ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitswesen. Auch Industrie wurde aufgebaut, jedoch stark unter dem Gesichtspunkt einer Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Republiken. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion leiden die zentralasiatischen Laender stark unter der hohen Spezialisierung ihrer Industrie und Landwirtschaft, und ihre Regimes sind weiterhin autoritaer, vom paternalistisch-demokratischen Kirgistan bis zum absurd anmutenden Turkmenistan. Drogenhandel (Afghanistan ist nicht weit) und Islamismus werden als staendige Gefahr gesehen. Aufschwung erhofft man sich von der Wiedererweckung der Seidenstrasse als Handelsweg und vom Tourismus. Die Faszination, welche die Seidenstrasse ueber Jahrhunderte auf die Europaer ausuebte, gruendete namentlich darin, dass die Laender waehrend Jahrhunderten Auslaendern vollstaendig verschlossen waren. Die Berichte von den wenigen Reisenden, die es nach Zentralasien (und zurueck!) schafften, weckten mit ihren Schilderungen von Pracht und Grausamkeit die Neugier, die sich nun endlich stillen laesst.


 





Juli 10, 2004
 
Im Ferganatal

Diesmal haben wir einen Fahrer erwischt, der gerne shoppt. Nachdem er bereits Essen, Trinken und Zigaretten jeweils bei einem Stopp besorgt hat, haelt er bei einer Gruppe von Wassermelonenverkaeufern am Strassenrand. Hart wird um ein paar Rappen gefeilscht, unzufrieden wechselt er zum naechsten Haufen, beginnt wieder alle zu klopfen (Reifepruefung) und ersteht schliesslich fuenf Stueck. Spaeter wandern noch fuenf Honigmelonen in den Kofferraum, eine davon gehoert uns. Die diversen Halte bei Aprikosenverkaeufern sind hingegen erfolglos, die Fruechte sind zu klein, zu sauer, zu teuer. Dank den Stopps koennen wir unsere Beine vertreten und einige Fotos der schoenen Gegend schiessen. Um ins Ferganatal zu gelangen, ueberqueren wir einen Auslaeufer des Tien-Schan-Gebirges, welches sich oestlich bis in die Mongolei erstreckt. Die Berge im Hintergrund eines azurblauen Stausees tragen noch letzte Schneereste. Der Empfang unten in der Ebene faellt etwas garstig aus. Zwei riesige Kohlekraftwerke und der vom Sturmwind aufgewirbelte Sand sorgen fuer eine truebe Sicht zum Horizont. Ansonsten wirkt die Region aufgrund ihrer Fruchtbarkeit sehr einladend. Die in der Sowjetzeit angelegten riesigen Baumwoll-Monokulturen haben sich wieder zu Gunsten einer gesuenderen Mischkultur gewandelt. Die weiss oder hellblau getuenchten Strassendoerfer werden von ueppigen Traubenlauben gesaeumt, und die Palaeste und Medressen in Kokand sind bunter als alles andere, was wir auf unserer Reise bislang gesehen haben. Die Baumwollfelder werden von Hecken aus Maulbeerbaeumen vor dem Wind geschuetzt, deren Blaetter die einzige Nahrung der Seidenraupen sind. In der traditionellen Seidenfabrik von Margilan sehen wir den ganzen Prozess der Seidenverarbeitung vom Abspulen des Kokons bis zum Weben der Stoffe. Unser Taxifahrer kommt bei all unseren Besichtigungen mit; auch er ist zum ersten Mal an diesen Orten. Trotz erheblichen Sprachbarrieren verstehen wir uns mit ihm so gut, dass wir ihn fuer den Transfer an die kirgisische Grenze am naechsten Tag engagieren.

 
Leuchtende Kacheln: Buchara und Samarkand

Als die Schweizerin Ella Maillart Usbekistan in den 1930er-Jahren bereiste ('Turkestan Solo'), lag das Land am Boden zerstoert. Buchara war 1920 bei der Eroberung durch die Rote Armee stark zerbombt worden, und wegen der Baumwoll-Anbauschlacht gab es kaum etwas Essbares. Die Sowjets restaurierten zwar viele der beruehmten Bauwerke, machten jedoch aus Friedhoefen Parks und aus Medressen (hoeheren islamischen Schulen) Herbergen, Schulen oder Lagerhaeuser, um den 'Aberglauben' Islam zu bekaempfen. Heute haben sich Buchara und Samarkand fuer die TouristInnen herausgeputzt. Ueberall entstehen neue B&Bs und Hotels, die Altstadt von Buchara ist gesaeumt von Souvenirstaenden, in Samarkand ist jede Studentenzelle der Medressen von einem Shop besetzt. Nach Jahrhunderten des Niedergangs wieder eine Art Bluete fuer diese beiden einst so reichen Staedte an der Seidenstrasse?

Seit der Unabhaengigkeit Usbekistans werden einige religioese Gebaeude wieder als solche genutzt. Nach siebzig Jahren der Unterdrueckung der Religion eroeffnet der Islam fuer die Menschen hier eine neue Welt. An Feiertagen treffen sie sich und tauschen das noch vorhandene Wissen untereinander aus. Dennoch erinnert heute wenig an die Bluetezeit Zentralasiens, als Buchara, Samarkand und spaeter Chiwa mit ihren Hunderten von Medressen das geistige Zentrum der islamischen Welt bildeten. Um nur einige der Beruehmtheiten aus der Gegend zu nennen: Der Algorithmus wurde nach dem Mathematiker Al-Khorezmi aus Chiwa benannt, und von dessen Buchtitel 'Al-Jebr' kommt die Algebra. Ulug Bek von Samarkand war einer der Begruender der modernen Astronomie. Allerdings schuf er sich mit seinem Ausspruch, dass 'Religionen verwehen, Kaiserreiche zerfallen, Werke der Gelehrten aber in Ewigkeiten erhalten bleiben' keine Freunde in der Geistlichkeit, und er wurde gekoepft.

Ulug Bek war nicht nur Wissenschaftler, sondern als Enkel Timurs auch Herrscher und liess als solcher einige der schoensten Gebaeude in Usbekistan erbauen. Die typisch timuridischen Gebaeude mit Backsteinfassaden, tuerkisen Kuppeln und tiefblauen Innenhoefe fallen in der islamischen Welt aus der Reihe, weil sie zoroastrische und Tiermotive abbilden - Darstellungen von Lebewesen sind im Islam tabu. Die Gebaeude von Ulug Bek sind ausserdem durch sternfoermige Fliesenmuster charakterisiert. Architektonische Hoehepunkte waren fuer uns zwei Grabmale. Die tuerkisen und dunkelblauen geschnitzten Kacheln in der Graeberstadt Shohizinda sind von einer Intensitaet und Schoenheit, wie wir sie sonst nirgends gesehen haben. Begraben sind dort Angehoerige Timurs; die Einheimischen pilgern jedoch an diesen Ort, um einem Heiligen ihre Reverenz zu erweisen oder den daneben liegenden modernen Friedhof zu besuchen. Ein anderer 'Liebling' von uns ist das Samanidenmausoleum in Buchara aus dem 10. Jh., das vorislamische architektonische Zuege aufweist. Es ist nur mit gebrannten Ziegeln gestaltet, die jedoch derart raffiniert eingesetzt wurden, dass es gar keinen weiteren Schmuck braucht. In krassem Gegensatz zu den intimen Mausoleen stehen die Prunkbauten Timurs. Allerdings stehen davon nur noch Ueberreste. Die gewaltige Bibi Chanom-Moschee etwa wurde so schnell erbaut, dass sie schon wenige Jahre nach ihrer Fertigstellung um 1400 zu broeckeln begann. Nach ihrem Wiederaufbau unter der Aegide der UNESCO hat sie den Charme des Verfallenen eingebuesst; die Ruinen von Timurs Palast in seiner Heimatstadt Shahrisabz nahe der Grenze zu Tadjikistan gefallen uns besser. An den restaurierten Gebaeuden laesst sich fuer uns Laien kaum ablesen, was original ist und was spaeter geaendert wurde. Die Rezepte fuer die Farben der timuridischen Kacheln jedenfalls sind verloren, und die damalige Leuchtkraft laesst sich heute nicht mehr erreichen.
 
Chiwa

Beim Einchecken fuer den Flug nach Urgench werden wir als Auslaender bevorzugt behandelt. Dananch geht's eher rustikal weiter. Auf dem heissen Flugfeld bildet sich hinter den laufenden Triebwerken eine Traube vor der Treppe. Es wird gerempelt und geflucht. Unsere nummerierten Plaetze sind bereits besetzt, wir passen uns den hiesigen Gepflogenheiten an und okkupieren unsererseits die naechsten Fensterplaetze. Nach der harten Landung koennen wir unsere Rucksaecke gleich selber vom Gepaeckkarren runterzerren.

Chiwa liegt am Beginn des Amur Darja-Deltas, also in fruchtbarstem Schwemmland, ansonsten ist es eingeschlossen von Wuestengebiet. Durch diese Abgeschiedenheit geschuetzt, war es jahrhundertelang beruechtigt fuer seinen riesigen Sklavenmarkt (bis 30'000 Leute), der inoffiziell bis zur Ankunft der roten Armee funktionierte. Der groesste Teil bestand aus gefangenen PerserInnen, die Tataren sorgten aber auch immer fuer Nachschub an den wertvolleren Russen (Maenner kraeftiger, Frauen "exotischer"). Der letzte maechtige Persershah machte Chiwa Mitte des 18. Jahrhunderts denn auch dem Erdboden gleich, um sich fuer seine Landsleute zu raechen. Das danach neu erbaute Chiwa ist heute noch zu 90% erhalten, das Gebiet innerhalb der Stadtmauer als Ganzes ein UNESCO-Weltkulturerbe. Die Stadt ist besonders fuer ihre traditionellen Holzschnitzer bekannt: in Usbekistan bestehen die Stuetzpfeiler der Gebaeude meist nicht aus Stein, sondern aus geschnitzten Baumstaemmen.

Durch die Hungersteppe

Das bestellte Taxi nach Buchara erscheint puenktlich. Doch zuerst geht es zum Taxifahrer nach Hause. Nach und nach fuellt sich der Wagen mit Picknick-Utensilien, vom Kochtopf bis zur riesigen Wassermelone. Zurueck auf der Hauptstrasse wird ein tragbarer Fernseher zugeladen, der allerdings waehrend der ganzen Fahrt nicht funktionieren wird. Jetzt noch zur Tankstelle, getankt wird jedoch Gas! In der Werkstatt schliesslich wird zu viert am Vergaser rumgefummelt. Endlich der Fahrer nimmt Platz und gibt uns mit einem breiten Grinsen mit seinen Goldzaehnen zu verstehen, dass es nun losgeht. Bis vor kurzem war es sehr in Mode, einen Teil seiner (auch gesunden) Zaehne durch Goldimplanate zu ersetzen. Das Laecheln Usbekistans ist also wahrlich goldig. Wir fletschen ebenfalls die Zaehne.

Den Amur Darja ueberqueren wir auf einer schwimmenden Pontonbruecke, die so verbeult ist, dass wir teilweise zu Fuss gehen muessen, damit der Auspuff nicht aufschlaegt. Der schlammigbraune Fluss ist hier ueber 400m breit, unglaublich, dass er wenige 100km noerdlich versiegt und kaum mehr Wasser den Aralsee erreicht. Da auch der Syr Darya weitgehend fuer die Bewaesserung aufgebraucht wird, ist der See seit Jahrzehnten am schrumpfen. Urspruenglich am Ufer gebaute Doerfer liegen heute ueber 100km entfernt in der sandigen Einoede. Die Bevoelkerung verlor ihre Existenzgrundlage als Fischer. Der ehemalige Seegrund ist stark mit Pestiziden und Entlaubungsmitteln kontaminiert, die masslos in den Baumwollkulturen eingesetzt werden. Der Wind wirbelt diese Ablagerungen regelmaessig zu wahren Giftwolken auf. Der Gesundheitszustand der verarmten Bevoelkerung ist hoechst bedenklich. Zweifellos ist das Gebiet heute eine der groessten Oekologiekatastrophen dieser Erde. Wir verzichten auf eine naehere Besichtigung. Uns reicht, dass unsere Verdauungstrakte prompt auf die erstmals auf unserer Reise schlechte Wasserqualitaet reagieren.

Der Wechsel von der Oase zur Halbwueste ist praktisch uebergangslos. Im Fruehling fallen immerhin 200mm Regen, so dass genuegend Grasbueschel fuer die Schafherden der Nomaden ueberleben. Wir sehen die ersten echten Jurten. Nach sechs Stunden ohne Halt wissen wir, wieso diese Gegend auch als Hungersteppe bezeichnet wird.

Juli 04, 2004
 
Die Hauptstadt

Tashkent wurde 1966 bei einem Erdbeben fast voellig zerstoert. Wegen der Hitze schliefen die meisten Bewohner gluecklicherweise draussen, so dass es nur wenige Tote gab. Danach wurde die viertgroesste Stadt der ehemaligen UdSSR nach typisch sowjetischem Muster wieder aufgebaut. Eintoenige Plattenbauten in den Aussenbezirken, im Zentrum klotzige Repraesentationsbauten, wenn auch mit usbekischem Einschlag. Sogar eine 2 km lange Paradestrasse ist vorhanden, auf der jetzt Gras waechst. Die weissen Linien (damit die Paenzerchen auch schoen geradeaus fahren) sind aber noch erkennbar. Dazu breite Alleen und grosszuegige Gruenanlagen mit kuehlenden Wasserspielen. Auch die Kunst kommt nicht zu kurz: neben vielen Denkmaelern (besonders beeindruckt hat uns die Gedenkstaette fuer die usbekischen Gefallenen im 2. Weltkrieg) und Skulpturen besuchten wir auch eine Vorstellung des hiesigen Balletts (1001 Nacht). Bereichernd ist auch der Besuch des historischen Museums, wenn man von den nationalistischen bzw. propagandistischen Toenen absieht.

Die Benutzung des oeffentlichen Verkehrs (Bus, Tram, Metro) geniessen wir nach dem Verkehrschaos im Iran besonders. Eine Strasse laesst sich jetzt wieder "gefahrlos" ueberqueren. Und noch etwas ist hier anders. Erst wissen wir gar nicht was, doch dann - ja - es ist richtig still hier. Es wird nicht mehr pausenlos gehupt, da sich die Leute an die Verkehrsregeln halten. Ein zweiter Kulturschock nach sechs Wochen Iran sind die blonden russischen Frauen, die mehr Haut als Stoff zeigen, waehrend die typischen Usbekinnen meist traditionell ein langes, buntes Kleid tragen. Wir geniessen die Vielfalt der Farben nach den uniformen Toenen im Iran und diejenige der Speisen auf der Menukarte. Mit der Auswahl sind wir etwas ueberfordert, der Entscheid fuer ein Bier faellt hingegen spontan.

Das Voelkergemisch ist faszinierend und die Vielsprachigkeit noch verbreiteter als in der Schweiz. Neben Russisch, Usbekisch und Tadschikisch ist bei der jungen Generation (60% der Bevoelkerung ist unter 26 Jahre alt) Englisch bereits weit verbreitet. Erneut erweist sich ein Land als viel freundlicher, gefahrloser und moderner als es in gewissen westlichen Medien dargestellt wird. So koennen wir unsere Weiterreise problemlos selber organisieren. Nur die vielen Knirpse, die die Computer in den Internet-Cafes mit ihren Spielen blockieren, behindern uns dabei ein wenig.
Juli 01, 2004
 
USBEKISTAN

Bevölkerung: 25 Mio.

Flaeche: 0.447 Mio Quadratkilometer (knapp kleiner als Schweden, 10mal so gross wie die Schweiz). Davon sind ca. 70% Halb- resp. Wueste. Die Bevoelkerung lebt hauptsaechlich in den Gebirgstaelern im Osten oder entlang der beiden Fluesse Amur Darya und Syr Darya, die sich wie gruene Schlangen den Grenzen entlang winden.

Hauptexportgueter: Melonen (fuer die Kalifen von Bagdad, luftdicht in Gebirgsschnee verpackt), Seide, Baumwolle (besonders zu Sowjetzeiten forciert, heute viertgroesster Produzent weltweit), Erdgas, Gold.

Waehrung: Sum, 1000 Sum entsprechen etwa Fr. 1.30 (leider wieder die groesste vorhandene Note = dickes Portemonnaie). Geldwechselstuben gibt's zwar recht viele, allerdings sind die meisten nur bereit, 50 Dollar auf einmal zu wechseln. Spaetestens zwei Stunden nach der Oeffnung ist kein Cash mehr vorhanden. Was die zwei netten Damen hinter dem Schalter dann noch so bis 18 Uhr treiben (ausser schlafen), ist entweder ein Mysterium des Orients oder ein postkommunistisches Syndrom. Das Preisniveau ist leicht unter dem der Tuerkei.

Zeitverschiebung: +3 Std. gegenüber MEZ, die Fussball-EM verfolgen wir also mitten in der Nacht.

Durchschnittstemperatur seit unserer Ankunft am 18. Juni: ca. 36 Grad Celsius am Mittag, wolkenlos.

Juengste Geschichte: 1991 Unabhaengigkeit und Mitgliedschaft in der GUS. Der neue Staat sucht nach historischen Wurzeln, um nach der Sowjetaera ein nationales Bewusstsein zu schaffen. Eine ist der Islam: ueber 5000 Moscheen wurden (wieder-) eroeffnet, doch aus Angst vor Fundamentalismus wurde der staatliche Geldhahn bald zugedreht. Die meisten Usbeken nehmen es aber nicht so genau mit den Vorschriften (aehnlich wie in der Tuerkei). Sonst koennten wir ja keinen Wodka trinken, meinte einer lapidar auf unsere entsprechende Frage. Als nationale Identifikationsfigur wurde Amir Timur positioniert. Dieser entfernte Nachfahre Dschingis Khans eroberte von Samarkand aus ein Weltreich, welches von Delhi bis Moskau reichte. Da er dabei aber noch grausamer vorging als sein Vorbild - bekannt ist etwa die Pyramide aus 90'000 abgeschlagenen Koepfen in Bagdad - faellt seine Bewertung in der westlichen Geschichtsschreibung weitaus weniger positiv aus. Er deportierte auf seinen Kriegszuegen die besten Kuenstler, Handwerker und Wissenschaftler ins Kernland des Reichs und liess sie dort die gewaltigen Bauten erstellen, fuer welche Samarkand noch heute beruehmt ist. Auf dem Weg zur Eroberung Chinas starb er an zu viel Alkohol, der ihn im ungewoehnlich harten Winter 1405 warmhalten sollte. Seine Nachfolger konnten das Riesenreich nicht zusammenhalten, immerhin foerderten sie weiterhin Kunst und Wissenschaft. Der letzte Timuride wurde nach Indien vertrieben, wo er die Moguldynastie gruendete, die u.a. den Taj Mahal bauen liess.

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