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Istanbul - Beijing 2004
Juli 19, 2004
 
Zeitreise (3): Mitten in der Voelkerwanderung
 
Westturkestan (die heutigen Turkmenistan, Tadjikistan, Usbekistan, Kirgistan und Teile Kasachstans - Ostturkestan ist die chinesische Provinz Xinjiang, doch darueber mehr im August) wird im Sueden durch den Kunlun und den Pamir, im Westen durch das Kaspische Meer begrenzt. Dadurch waren die Voelker aus den Weiten Russlands, Sibiriens und der Mongolei praktisch gezwungen, auf ihrem Weg Richtung Sueden resp. Westen (und umgekehrt) hier durchzuziehen. Die Geschichte war entsprechend wechselvoll und viele Herrschaften konnten sich nur kurze Zeit oder auf begrenztem Gebiet halten. Trotzdem hier der Versuch eines Abrisses der wichtigsten Stationen.
 
Bereits Herodot berichtete ueber das Land, welches damals noch fruchtbarer war als heute. Die einheimischen Sodgen und Skythen leisteten sowohl den Persern wie auch Alexander auf deren Eroberungszuegen erbitterten Widerstand. Im 2. Jahrhundert vor Christi Geburt erschienen die von den Chinesen so gefuerchteten Yuetsin, wegen deren staendigen Ueberfaellen die erste chinesische Mauer gebaut wurde.  Die Yuetsin ihrerseits befanden sich auf der Flucht vor den Hunnen. Sie errichteten ein Reich zwischen dem Aralsee und dem Indus, das 500 Jahre andauerte und  in dem sich der indische Buddismus verbreitete.  In diese Zeit faellt auch die Entstehung der beruehmten Seidenstrasse, auf welcher der kostbare Stoff von China bis nach Rom exportiert wurde, im Austausch gegen Gold, farbiges Glas und andere rare Gueter. Nebenrouten fuehrten nach Indien und Persien, weshalb auch Gewuerze und Edelsteine wichtige Handelsgueter waren. Buchara und Samarkand lagen in der Mitte der Route und boten neben den Transportmitteln (Pferde und Kamele) Marktplaetze und Banken an.
 
Weil das Klima immer trockener wurde, verliessen die Turkvoelker in Ostasien ihre Heimat und griffen ueber einen Zeitraum von Tausend Jahren immer wieder die reiche sesshafte Bevoelkerung entlang der Seidenstrasse an. Zwischendurch brachten die Araber auf ihren relegioesen Eroberungszuegen von Westen her den Islam. 751 versuchten die Chinesen erstmals nach Westen vorzustossen, wurden aber vom arabischen Heer vernichtend geschlagen. Da es lange Zeit bei diesem misslungenen Eroberungszug blieb, ist das gesamte Gebiet inklusive das chinesische Ostturkestan bis heute islamisch geblieben. Auch lernten die Araber von ihren Kriegsgefangenen die Geheimnisse der Herstellung von Papier und Seide. Waehrend die Seidenstrasse dadurch an wirtschaftlicher Bedeutung verlor, bluehten die Oasen Zentralasiens kulturell auf, und im 12. Jahrhundert etablierte sich im Gebiet zwischen dem Aralsee und dem Indus erneut ein starkes Reich, Khoresm genannt.
 
Der Koenig dieses Reichs beging jedoch zwei entscheidene Fehler. Er liess eine reiche Handelskaravane im Besitze Dschingis Khans niedermetzeln, worauf dieser seinen Chinafeldzug abbrach und sich 1220 mit 200'000 Mann Richtung Westen aufmachte. Statt sich mit seinem ebenbuertigen Heer den Mongolen in einer Entscheidungsschlacht zu stellen, machte der Koenig von Khoresm seinen zweiten, strategischen Fehler: Er verzettelte seine Armee zur Verteidigung der einzelnen Staedte. Die Mongolen, ausgeruestet mit moderner chinesischer Belagerungstechnik, hatten keine Muehe, die einzelnen Staedte zu erobern. Der Rachefeldzug forderte allein in Zentralasien die ungeheure Zahl von 6 Millionen Toten und soll den Ausschlag dafuer gegeben haben, dass Dschingis Khan in der Folge das Schwert und nicht den Handel als Mittel fuer seine Machtausdehnung einsetzte. Die Turko-Mongolen setzten nun ihren Vernichtungszug bis nach Delhi und Leningrad fort. Erst der Tod Dschingis Khans stoppte die bereits in Ungarn angekommenen Horden. Seine Nachfolger konzentrierten sich wieder auf die Eroberung Chinas. Dank der Pax mongolica erlebte die Seidenstrasse nochmals einen Hoehepunkt, auch im kulturellen Austausch mit Europa. Nachdem China das Joch der Mongolen abwerfen konnte, verschloss es seine Grenze jedoch weitgehend gegenueber fremdlaendischen Einfluessen. Damit ging auch der Handel auf der Seidenstrasse stark zurueck.  
 
Etwa zur gleichen Zeit, rund 150 Jahre nach Dschingis Khan, loeste Timur von Samarkand aus den 2. Mongolensturm ueber den Vorderen Orient und Russland aus. Die Voelker, die heute das Gebiet bewohnen, begannen hingegen erst im 16. Jahrhundert einzuwandern und vertrieben den letzten Timuriden nach Indien. Die heutige Verklaerung Timurs als 'Vater der Usbeken' ist daher nicht nur wegen dessen Grausamkeit bedenklich, sondern schlichtweg eine falsche Darstellung der Tatsachen. Nach dem Ende von Timurs Reich entstanden in der Region verschiedene Stadtstaaten, sogenannte Khanate, welche unterschiedliche Entwicklungen durchmachten. Die sunnitische Bevoelkerung geriet wegen der wachsenden Bedeutung des schiitischen Persiens in eine religioese Isolation. Die Entdeckung neuer Seewege liess die Seidenstrasse auf nur noch regionale Bedeutung absinken.
 
Erst Mitte des 19. Jhs. geriet Zentralasien aufgrund seiner geografischen Lage zwischen dem britischen Empire in Indien und dem machthungrigen russischen Reich im Norden wieder in den Mittelpunkt weltpolitischer Interessen. Ab 1860 wurden die Khanate von russischen Truppen erobert. Waehrend des ersten Weltkriegs wurden die Herden und Ernten in Zentralasien vom russischen Zar konfisziert und Maenner fuer den Kriegsdienst mobilisiert, was zur offenen Revolte fuehrte. Diese wurde blutig niedergeschlagen. Nach dem Krieg entstanden in der ganzen Region autonome Staaten von unterschiedlicher Dauer. Gegen die zunehmende Integration in die Sowjetunion gab es nationalistisch-religioes gepraegten Widerstand von Basmatchi genannten Guerillakaempfern. Die Nomaden wehrten sich zudem heftig gegen die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, sie schlachteten ihre Herden, statt sie dem Staat zu ueberlassen. Alle Widerstandsbewegungen gegen die Sowjetunion wurden jedoch niedergeschlagen, die Republiken in die UdSSR integriert, und Stalin liess die gesamte kirgisische Regierung 1937 toeten.
 
Die UdSSR brachte der Region eine recht gut ausgebaute Infrastruktur und ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitswesen. Auch Industrie wurde aufgebaut, jedoch stark unter dem Gesichtspunkt einer Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Republiken. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion leiden die zentralasiatischen Laender stark unter der hohen Spezialisierung ihrer Industrie und Landwirtschaft, und ihre Regimes sind weiterhin autoritaer, vom paternalistisch-demokratischen Kirgistan bis zum absurd anmutenden Turkmenistan. Drogenhandel (Afghanistan ist nicht weit) und Islamismus werden als staendige Gefahr gesehen. Aufschwung erhofft man sich von der Wiedererweckung der Seidenstrasse als Handelsweg und vom Tourismus. Die Faszination, welche die Seidenstrasse ueber Jahrhunderte auf die Europaer ausuebte, gruendete namentlich darin, dass die Laender waehrend Jahrhunderten Auslaendern vollstaendig verschlossen waren. Die Berichte von den wenigen Reisenden, die es nach Zentralasien (und zurueck!) schafften, weckten mit ihren Schilderungen von Pracht und Grausamkeit die Neugier, die sich nun endlich stillen laesst.


 






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